Ein Interview mit Robert Bialek, Geschäftsführer der Meditec Consulting GmbH
Redaktion: Herr Bialek, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch nehmen. Bevor wir über das Thema Risikomanagement sprechen – erzählen Sie uns bitte kurz etwas über sich und Ihren beruflichen Hintergrund.
Robert Bialek: Sehr gerne. Ich bin seit über 15 Jahren im Bereich Qualitätsmanagement und Regulatory Affairs für Medizinprodukte tätig. Nach meinem Ingenieurstudium habe ich zunächst in der Medizintechnik gearbeitet, wo ich sehr schnell mit den regulatorischen Anforderungen der Branche in Kontakt kam.
Vor rund zehn Jahren habe ich dann die Meditec Consulting GmbH gegründet. Unser Fokus liegt auf der Beratung von Herstellern, Entwicklern und Inverkehrbringern von Medizinprodukten – insbesondere, wenn es um Themen wie Risikomanagement, technische Dokumentation, Konformitätsbewertung und Marktzugang nach MDR geht.
Redaktion: Das Thema Risikomanagement ist für viele Unternehmen ein rotes Tuch. Warum ist es so entscheidend – und gleichzeitig so komplex?
Robert Bialek: Weil es im Kern darum geht, Patientensicherheit und Produktsicherheit systematisch sicherzustellen – und das über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg.
Viele Unternehmen sehen Risikomanagement zunächst als eine regulatorische Pflicht nach ISO 14971. Aber in Wirklichkeit ist es viel mehr: Es ist ein zentrales Werkzeug, um die Qualität und Sicherheit eines Produkts von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Anwendung zu steuern.
Die Komplexität entsteht, weil man Risiken nicht nur technisch, sondern auch klinisch und organisatorisch bewerten muss.
Man muss verstehen, wie Anwender – also Ärzte, Pflegepersonal oder Patienten – mit dem Produkt umgehen. Und man muss Szenarien durchdenken, die außerhalb des Labors passieren: Fehlanwendungen, Umgebungsbedingungen, Softwarefehler usw.
Redaktion: Welche typischen Fehler sehen Sie bei Herstellern, wenn es um Risikomanagement geht?
Robert Bialek: Da gibt es einige wiederkehrende Muster.
Ein häufiger Fehler ist, dass Risikomanagement als einmalige Aufgabe betrachtet wird – also: man schreibt eine Risikoanalyse, legt sie ab und hakt das Thema ab.
Tatsächlich verlangt die MDR, dass der Prozess lebendig bleibt. Das bedeutet: Wenn neue Erkenntnisse, Reklamationen, Post-Market-Daten oder Änderungen am Produkt auftreten, muss die Risikoanalyse aktualisiert werden.
Ein weiterer Punkt ist, dass viele Unternehmen zu technisch denken. Sie bewerten Risiken auf Bauteilebene, vergessen aber den klinischen Kontext.
Beispiel: Ein Sensor, der nur selten ausfällt, mag technisch sicher erscheinen – aber wenn dieser Ausfall in einer lebenswichtigen Anwendung passiert, ist das Risiko aus klinischer Sicht hoch.
Und zuletzt: Die Dokumentation ist oft ein Problem. Die Verbindung zwischen Risikoanalyse, klinischer Bewertung, Gebrauchsanweisung und Post-Market-Surveillance fehlt häufig. Dabei fordert die MDR ein kohärentes System, in dem alle Dokumente aufeinander verweisen.
Redaktion: Wie genau unterstützt Meditec Consulting Unternehmen bei diesen Herausforderungen?
Robert Bialek: Wir verstehen uns als Partner auf Augenhöhe.
Das heißt, wir kommen nicht mit Standardformularen oder pauschalen Lösungen, sondern schauen uns jedes Produkt individuell an.
Unser Ansatz ist praxisorientiert:
- Wir analysieren bestehende Dokumentationen und identifizieren Lücken zur MDR und ISO 14971.
- Wir unterstützen bei der Erstellung oder Überarbeitung der Risikomanagementakte.
- Und wir schulen Teams, damit sie künftig eigenständig ein wirksames Risikomanagement betreiben können.
Ein wichtiger Bestandteil ist dabei, den Prozess so aufzubauen, dass er auch im Alltag lebbar ist. Also: einfach, nachvollziehbar und in die bestehenden Abläufe integrierbar – statt zusätzlicher Bürokratie.
Redaktion: Die MDR hat in den letzten Jahren für viel Unsicherheit gesorgt. Wie erleben Sie die Situation in der Praxis?
Robert Bialek: Die MDR hat ohne Frage zu einem massiven Mehraufwand geführt – sowohl für Hersteller als auch für Benannte Stellen.
Viele kleine und mittlere Unternehmen kämpfen mit den gestiegenen Anforderungen, insbesondere bei der Dokumentation und bei der Nachweisführung der klinischen Sicherheit.
Was wir oft sehen: Die technischen Unterlagen sind grundsätzlich vorhanden, aber sie erfüllen nicht die formalen und inhaltlichen Anforderungen der MDR.
Ein großer Stolperstein ist die Risikomanagementakte, weil sie in vielen Fällen nicht vollständig in die Technische Dokumentation eingebettet ist.
Zudem gibt es weiterhin Interpretationsspielräume – etwa, wie detailliert der Nachweis der Risikokontrolle oder der Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen muss. Das führt dazu, dass Benannte Stellen sehr unterschiedlich bewerten.
Redaktion: Wenn Sie mit einem neuen Kunden starten – wo setzen Sie an?
Robert Bialek: In der Regel führen wir zuerst ein Gap-Assessment durch.
Das heißt: Wir prüfen die vorhandenen Unterlagen gegen die Anforderungen der MDR, insbesondere Anhang I und II, sowie gegen ISO 14971.
Dabei zeigen wir konkret auf, wo Lücken bestehen – also welche Risiken nicht ausreichend bewertet oder dokumentiert wurden.
Darauf aufbauend entwickeln wir einen Aktionsplan mit Prioritäten: Was muss sofort behoben werden, was kann später ergänzt werden.
Unser Ziel ist es, den Prozess nicht nur für die nächste Audit-Runde vorzubereiten, sondern langfristig strukturiert und audit-sicher zu gestalten.
Redaktion: Wie wichtig ist Software in diesem Zusammenhang geworden?
Robert Bialek: Sehr wichtig – Software ist mittlerweile das Herzstück vieler Medizinprodukte.
Das gilt sowohl für eigenständige Softwareprodukte als auch für integrierte Systeme.
Das Problem ist: Softwareverhalten ist nicht statisch. Updates, Schnittstellen, Algorithmen – alles verändert sich ständig.
Dadurch wird das Risikomanagement zur dauerhaften Aufgabe. Man muss sicherstellen, dass jedes Update, jede neue Version, jede Änderung am Code auf mögliche Risiken geprüft wird.
Deshalb arbeiten wir zunehmend mit automatisierten Traceability-Systemen, die Verknüpfungen zwischen Anforderungen, Testfällen, Risiken und Maßnahmen herstellen.
Redaktion: Wie sehen Sie die Zukunft des Risikomanagements in der Medizintechnik?
Robert Bialek: Ich glaube, wir bewegen uns in Richtung einer kontinuierlichen, digitalen Risikoüberwachung.
Das klassische „Dokumentenschreiben“ wird zunehmend durch integrierte Systeme ersetzt, in denen Daten aus Entwicklung, Produktion und Post-Market-Surveillance automatisch einfließen.
Künstliche Intelligenz wird dabei eine Rolle spielen – nicht um Entscheidungen zu treffen, sondern um Risikomuster zu erkennen, die Menschen vielleicht übersehen würden.
Aber trotz aller Technik bleibt das Wichtigste: Verständnis für das Produkt und seinen Anwendungskontext.
Nur wer die reale Nutzung versteht, kann Risiken realistisch einschätzen.
Redaktion: Zum Abschluss: Welchen Rat geben Sie Herstellern, die jetzt ihre Prozesse nach MDR anpassen oder neu aufsetzen müssen?
Robert Bialek: Mein Rat wäre: Sehen Sie Risikomanagement nicht als Hürde, sondern als Chance.
Ein durchdachtes Risikomanagement macht Ihr Produkt sicherer, Ihre Dokumentation schlüssiger – und am Ende auch Ihre Zulassung stabiler.
Fangen Sie früh an, binden Sie alle Abteilungen ein, und sorgen Sie dafür, dass der Prozess gepflegt und verstanden wird – nicht nur formal erfüllt.
Und wenn Sie merken, dass es intern an Kapazität oder Erfahrung fehlt: Holen Sie sich Unterstützung.
Das spart in der Regel viel Zeit, Geld und Nerven.
Redaktion: Herr Bialek, vielen Dank für das Gespräch.
Robert Bialek: Ich danke Ihnen – und freue mich, dass das Thema Risikomanagement endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.



















